Juristische Fachkonferenz des DVR

11. Oktober 2019 – Zum 5. Mal lud der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) am 10. Oktober 2019 Juristinnen und Juristen aus dem Verkehrsbereich nach Berlin zur Juristischen Fachkonferenz ein. Einen ganzen Nachmittag lang diskutierten über 50 Fachleute aus Ministerien, der Polizei, aus Verbänden, Anwaltskanzleien und aus der Wissenschaft aktuelle Themen der Verkehrssicherheit.

Grenzüberschreitende Verkehrssanktionen

Frau Dr. Stefanie Loroch vom Bundesamt für Justiz (BfJ) erläuterte die Hintergründe des Rahmenbeschluss Geldsanktionen (RB Geld), der nun seit fast zehn Jahren in Deutschland umgesetzt wird. Der Beschluss ermögliche es, dass Geldsanktionen u.a. wegen Verstößen im Straßenverkehr innerhalb der EU grenzüberschreitend vollstreckt werden können - auch dann, wenn der Betroffene nicht in dem Land lebe oder sich aufhalte, in dem die Sanktion verhängt wurde. Alle aus- und eingehenden Gesuche gingen über die Tische des BfJ. Die Erlöse aus den Geldbußen und Geldstrafen kämen dem Staat zugute, der vollstrecke. Frau Dr. Loroch betonte, dass es mit einigen Mitgliedsstaaten eine sehr gute Zusammenarbeit gebe. Dadurch sei die Vollstreckungsquote hoch, so seien seit 2017 mit über 11.600 ausgehenden Verfahren die meisten in Kooperation mit Polen abgeschlossen worden. In umgekehrter Richtung seien die meisten Ersuche aus den Niederlanden an das BfJ gerichtet worden (über 77.000). Frau Reiffs vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ergänzte, dass es sehr intensive bilaterale Kontakte mit einzelnen Mitgliedsstaaten gebe, um eine Verbesserung der Verfahren zu erwirken.

Ergänzt wurde das Thema durch ein Gespräch zwischen Prof. Dr. Dieter Müller, dem Vorsitzenden des Juristischen Beirats des DVR, und Jessica Niester. Frau Niester hat mit ihrer Bachelorarbeit mit dem provokanten Titel „EU-weite Bußgeldvollstreckung: Abzocke oder effektive Methode zur Verkehrsunfallprävention?“ den zweiten Platz des Förderpreises 2019 des DVR gewonnen. Sie habe festgestellt, dass bei Verstößen von Verkehrsteilnehmenden gegen das Straßenverkehrsrecht ganz oft klare Kosten/Nutzen-Überlegungen angestellt und Bußgelder einkalkuliert werden, wenn der Vorteil durch den Verstoß nur groß genug erscheine. Frau Niester wünschte sich mehr Aufklärung innerhalb der Polizei und bei den Bußgeldstellen über die Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten.

Kann man Gaffer stoppen?

Berühmt wurde Polizeidirektor Stefan Pfeiffer von der bayerischen Polizei als er sogenannte Gaffer, die das Geschehen nach einem Unfall auf einer Autobahn mit Handykameras filmten, provokativ aufforderte, sich die getöteten Unfallopfer doch von Nahem anzusehen. Im Gespräch mit Stefan Grieger, dem Leiter des Hauptstadtbüros des DVR, betonte Pfeiffer, dass dies leider keine Ausnahmesituation für ihn gewesen sei, das erlebe er fast jeden Tag. Die Mehrheit der Verkehrsteilnehmer sei zwar vernünftig, geschätzte zehn Prozent überschritten jedoch die Grenze des Anstandes. Diese Leute versuchten, sich über die Videos von Unfällen interessant zu machen. Die meisten Schaulustigen hätten sich jedoch entschuldigt, wenn er sie auf ihr Fehlverhalten angesprochen habe. Da es in seiner praktischen Arbeit oft Fahrer aus dem Ausland seien, die sich bei Unfällen falsch verhielten, sei es aus seiner Sicht neben einer generellen Harmonisierung der Bußgeldhöhen wichtig, auch die Rettungsgassenregelung in Europa zu vereinheitlichen. Ein generelles Tempolimit auf Bundesautobahnen von 130 km/h würde helfen, die schwersten Folgen von Verkehrsunfällen zu vermeiden. Wichtig sei zudem eine Halterhaftung im fließenden Verkehr, bei der ermittelte Halter für Verstöße, die mit ihrem Fahrzeug begangen würden, zur Verantwortung gezogen werden könnten. Die meisten Halter wüssten sehr genau, wer zu welchem Zeitpunkt ihr Fahrzeug benutze.

Wer fährt, kifft nicht

Urban Sandherr, Richter am Kammergericht Berlin, führte mit seinem Vortrag „Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG bei Cannabiskonsum“, die Problematik von Drogenkonsum bei der Teilnahme am Straßenverkehr aus. Es gebe bei Cannabiskonsum keine Grenzwerte, die per se eine Fahrunsicherheit begründeten, denn die Droge wirke sich sehr unterschiedlich aus und werde unterschiedlich schnell abgebaut. Mit Anlehnungen aus der Rechtsmedizin und der Rechtsphilosophie spannte er den Bogen zur aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung und forderte, dass die Drogenkonsumenten die Risiken und Konsequenzen ihres Verhaltens tragen müssten oder am besten gar kein Kraftfahrzeug fahren sollten.

Komplexes autonomes Fahren

Dass es noch ein langer Weg ist, bis Kraftfahrzeuge völlig autonom und regelkonform fahren werden, machte Prof. Dr. Marcel Kaufmann von der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP mit seinem Vortrag „Herausforderungen der StVO für das automatisierte Fahren“ deutlich. Selbst einfache Vorgänge, wie ein vor dem Fahrzeug fahrender Radfahrer, der links abbiegen wolle, erforderten die Programmierung sehr vieler Rechtsfragen bzw. die vorhergehende Klärung unbestimmter Rechtsbegriffe. Bei der automatisierten Rechtsanwendung spielten bislang zurückliegende Sachverhalte eine Rolle, nun müssten die Systeme zukünftige Situationen beurteilen lernen. Dafür seien starre regelbasierte Systeme ungeeignet, selbstlernende Systeme seine zu bevorzugen. Andererseits müssten Rechtsnormen stärker formalisiert und vorhandene Widersprüche bereinigt werden. Insbesondere in der Übergangszeit hin zum autonomen Fahren sei es durchaus denkbar, dass ein autonom fahrendes Fahrzeug als einziges regelkonform fahre und dann „nach hinten durchgereicht“ werde.

Prof. Dr. Dieter Müller verabschiedete die Gäste mit einem positiven Fazit und erklärte, dass einmal mehr deutlich geworden sei, dass die verschiedensten Akteure der Verkehrssicherheitsarbeit noch besser zusammenarbeiten müssten und dass die Arbeit von Polizeien, Staats-(Amts-)anwaltschaften und Bußgeldstellen noch stärker ineinander greifen müssten.

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